Historie

Entstehung der geschnitzten Münchner Moriskentänzer

Der Bildhauer Erasmus Grasser, 1450 in Schmidmühlen in der Oberpfalz geboren, kam Anfang der siebziger Jahre nach München, wo er seine Gesellenzeit verbrachte. Nachdem der junge, zielstrebige Künstler zunächst durch das Schnitzen von Wappenschildern und einer Sonne auf sich aufmerksam gemacht hatte, bekam er, inzwischen Meister, 1480 den Auftrag, für den zwischen 1470 und 1474 von Jörg von Halspach neuerbauten Tanzsaal des Münchner Rathauses, des heutigen Alten Rathauses, 16 holzgeschnitzte Tänzer zu schaffen.
 
 
 

Ein Tanzbankett Herzog Christoph des Starken hatte dazu inspiriert. Im Münchner Stadtkammerbuch hielt der Stadtschreiber am 15. August 1480 die Auszahlung von 150 Gulden fest, für damals ein beträchtliches Honorar. Die mitreißenden Werke des selbstbewußten Künstlers hatten allerdings bei den alteingesessenen Meistern zunächst eher zu einer neidvollen Beunruhigung geführt.

Der ProphetZehn Tanzfiguren wurden auf kleinen Konsolen in einem umlaufenden Fries, unmittelbar unter dem imposanten Tonnengewölbe, auf jeder Seite fünf am Schnittpunkt der Rundbogenfelder, aufgereiht, wie aus einem Stich von Nikolaus Solis über die Hochzeit Wilhelm V. mit Renata von Lothringen aus dem Jahre 1568 zu entnehmen ist. Über 450 Jahre haben diese zwischen 61,5 cm und 81,5 cm hohen Tänzer in diesem Saal gestanden. Vergeblich sucht man in den Quellen nach dem Aussehen und Aufstellungsplatz der restlichen sechs Figuren: Vermutungen bestehen, daß es sich dabei um die "Tanzjungfrawe", den Narren, Musikanten vielleicht auch Zuschauer gehandelt haben könnte.

Die zehn Moriskenfiguren überlebten fast 450 Jahre im Rathaussaal ungestört; sie wurden zweimal restauriert, 1726 und 1887, bis sie 1928 durch Kopien ersetzt wurden. Die Originale fanden nach einer Restaurierung in den Werkstätten des

Bayerischen Nationalmuseums ab 1931 im Münchner Stadtmuseum ihr Zuhause. Nach einer Umgestaltung des spätgotischen Zeughaussaales wurden sie im März 1999 den Ausstellungsbesuchern erneut zugänglich gemacht.

Für jede Figur sind entsprechend ihrer Kostümierung im Laufe der Jahre frei erfundene Namensgebungen vorgenommen worden, wie

Bei den Münchner Moriskenfiguren handelt es sich um die einzige freifigürliche Gestaltung, die den Moriskentanz dreidimensional wiedergibt. Diese kostbaren Holzskulpturen gelten als einmalig innerhalb der spätmittelalterlichen Kunst. Um diese Figuren schnitzen zu können, mußte wohl Erasmus Grasser die Bewegungsabläufe an wirklichen Tänzern studiert haben. Inwieweit er sich bei den in Nürnberg erstmals 1479 erwähnten Tänzern Anregungen geholt hat, ist nicht bekannt.

Grasser hat seine Figuren als faszinierende Tänzer mit unterschiedlichen ausdrucksstarken Bewegungscharakteren dargestellt, wobei sich die Art der Bewegung bei allen zehn Tänzern ähnelt. Typisch sind die Prinzipien der Gegenbewegung, Verwringung und Isolation wie wir sie heute vor allen in der modernen Tanzform des Jazz wiederfinden. Gekreuzte Beine, gegenläufiger Oberkörper vor- bzw. rückgebeugt mitunter mit Seitneigungen verbunden, isolierte Schulter- und Kopfbewegungen, grotesk gebeugte bzw. gestreckte Arme mit gespreizten Fingern, alle Raumrichtungen ausfüllend. Die Gesichtszüge der Tänzer sind eher als alt und vulgär zu bezeichnen. Kinn- bzw. Lippenbärte tragen zur Typisierung bei.

Jüngling mit UmhangBei der Kleidung sind einheitlich die engen goldenen bzw. roten Beinlinge, welche die drahtigen oder auch grazilen Tänzerbeine noch hervorheben. Die goldenen Obergewänder sind sehr unterschiedlich ausgefallen, teilweise eng anliegend oder locker gegürtet, mitunter mit großen bauschigen Ärmeln oder auch mit einem wehenden Umhang versehen wie beim Jüngling. Diese sind durch im Tanze wippende Schöße und Zipfel, oft auch mit Borten, Quasten oder Goldperlen besetzt sowie durch flatternde Bänder und Schärpen vielfältig variiert. An fast allen Wämsen, Hemden, Hosen und auch Hüten sind mehr oder weniger Schellen in verschiedenen Größen angebracht. Acht der Tänzer tragen phantasievolle, leicht orientalisch oder höfisch geprägte Hüte bzw. Kopfgebilde, die mit langen weißlich braunen oder schwarzblauen Bändern umschlungen und teilweise unter dem Kinn zusammengebunden sind. Mohr und Jüngling zeigen ihre üppige Haar-pracht mit einem geschlungenen Band. Charakteristisch sind auch die spitzen rotbraunen Schnabelschuhe bzw. -stiefel; eine Ausnahme macht der Damenhut mit goldenen Stiefeln. Ein Tänzer, der Prophet, fällt aus der Rolle: er ist im Gegensatz zu den bunten Mittänzern ohne Bemalung; nach einer Restaurierung 1928 sollte die charakteristische Schnitzarbeit Grassers damit ersichtlich werden.

Interessant sind natürlich auch ähnliche zeitgenössische Darstellungen von Moriskentänzern. Zu den spektakulärsten gehört das figurale Steinrelief des achtfach unterteilten Prunkerkers des "Goldenen Dachls" in Innsbruck von 1494/96, mit sechs mal zwei grotesken als "Narren" verkleideten Tänzern und in der Mitte als Zuschauer Kaiser Maximilian im Profil zusammen mit seiner zweiten Gemahlin, offenbar Preisrichterin mit einer Goldkugel bzw. einem Apfel und seiner verstorbenen ersten Gattin sowie nochmals Kaiser Maximilian en face mit einem Ratsherren und einem Hofnarren.

Graphische Darstellungen stammen u.a. von Israel von Meckenem um 1460/ Gaisberg 383 und 465, Hans Suess von Kulmbach um 1510, Meister HL um 1520, von Christoph Weiditz um 1530, Erhard Schön um 1542. In den Darstellungen tauchen immer wieder eine tanzende Frau, der Narr und der Pfeifer auf. Ähnlichkeiten mit den Münchner Tänzern sind in Bewegung und Kostümierung bei Israel von Meckenem und im Innsbrucker Relief zu finden. Zwei Darstellungen mit den Moriskentänzern von Erasmus Grasser liegen aus dem Jahre 1860 von Wilhelm Gail in der Graphikensammlung des Münchner Stadtmuseums vor, vermutlich Entwürfe zu Vignetten, wie sie für Programmzetteln zu Künstlerfesten erstellt wurden

Gertrude Krombholz


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